Zu ihrer Überraschung schossen Zdorab Tränen in die Augen. »Ich habe keine ›Leute‹«, sagte er. »Ich habe vielleicht nicht mal mehr eine Frau. Oder Kinder.«
Also hatte Schedemei es nicht gewußt. Das war allerdings keine Überraschung.
»Ich habe nicht erwartet, daß du Mitleid für mich aufbringst«, sagte er, wischte sich über die Augen und riß sich zusammen. »Ich wollte dir nur sagen, hätte ich gewußt …«
»Hättest du was gewußt? Daß Elemak Nafai haßt? Daß er ihn tot sehen will? Wie konntest du diese kleine Einzelheit übersehen? Schließlich haben wir doch alle das Blut gesehen, mit dem Nafai nach Elemaks letztem kleinen Anschlag bedeckt war.«
Zorn blitzte in Zdorabs Augen auf. »Diesmal hatte Elemak keinen kleinen Anschlag geplant.«
»Nein, es war die Überseele«, sagte Luet.
»Ich bin hier ein Außenseiter«, sagte er. »Schedja und ich sind mit niemandem verwandt.«
»Schedja ist eine von Tante Rasas Nichten.«
»Das ist keine Blutsverwandtschaft, das ist …«
»Viel mehr.«
»Aber
»Das ist unmöglich«, sagte Luet. »Besonders jetzt, dank dir.«
»Ich habe getan, was ich als das Beste für meine Kinder hielt. Ich habe mich geirrt. Jetzt vertraut mir keine Seite, und auch meine Kinder werden dafür bezahlen. Ich habe mich
»Na schön«, sagte Luet kalt. »Du hast mir dein Herz ausgeschüttet. Ich habe dich angehört, und sollte ich je wieder mit jemandem sprechen dürfen, von meinen Kindern mal abgesehen, werde ich allen erzählen, daß dein einziges Motiv deine altruistische Besorgnis um deine Kinder war.«
»Mebbekew hat mir gesagt, daß du eiskalt bist«, sagte Zdorab.
»Und wir wissen ja alle, was für ein guter Menschenkenner Meb ist.«
»Aber er irrt sich«, sagte Zdorab. »Du bist nicht eiskalt, du brennst geradezu.«
»Ich danke dir für diese einsichtsvollen Metaphern zur Beschreibung meines Charakters.«
»Vergiß nur eins nicht, Luet. Ich habe dir Unrecht getan. Das weiß ich, und ich stehe in deiner Schuld, tief und auf ewig. Ich bin von Natur aus nicht unehrenhaft. Ich habe gehandelt, wie Männer wie ich stets handeln mußten — um zu überleben, so, wie ich es für das Beste hielt. Irgendwann in der Zukunft wirst du meine Hilfe brauchen, ganz gleich, wie sehr du mich verachtest. Ich bin hier, um dir zu sagen, daß ich tun werde, was in meiner Macht steht, wenn Nafai oder du mich darum bittest.«
»Gut. Sag Elemak, er soll meinen Gatten losbinden.«
»Was in meiner Macht steht, habe ich gesagt. Ich habe ihn bereits gebeten, deinen Mann loszubinden. Kokor und Sevet haben es gefordert. Deine älteste Tochter hat ihm ins Gesicht gespuckt und ihn einen Eunuchen genannt, der ihm überlegene Menschen einsperren muß, damit er sich als echter Mann fühlen kann.«
Luet rang nach Atem. »Hat er sie geschlagen?«
»Ja«, sagte Zdorab. »Aber es geht ihr gut. Alle waren deshalb entrüstet, und er hat sich seitdem nicht mehr in ihre Nähe gewagt. Was es auch wert sein mag — ich glaube, sogar seine eigene Frau hat sich gegen ihn gestellt, als sie sah, wie er Chveja einfach so schlug.«
Genau das hatte Chveja zweifellos damit beabsichtigt. »Das war stets immer Eljas Problem«, sagte Luet. »Er hat schon immer versucht, Worte mit Taten zu beantworten. Das mag vielleicht den Sprecher zum Schweigen bringen, bestätigt aber nur den Wahrheitsgehalt seiner Worte.«
»Selbst du mit deinem unbeugsamen Schweigen — darüber unterhalten die Frauen sich die halbe Zeit«, sagte Zdorab. »Und auch Schedja beteiligt sich mittlerweile an deinem Redeboykott. Alle wollen, daß Elemak aufhört. Ich dachte, das interessiert dich vielleicht. Was du tust, was Chveja und Ojkib getan haben, selbst Nafais stilles Ausharren — das alles ist eine Art von starrköpfigem und tapferem Widerstand, und alle, die auf Elemaks Seite stehen … schämen sich deshalb fürchterlich.«
Luet nickte ernst. Das hatte sie hören wollen. Die Tatsache, daß Zdorab gekommen war, um es ihr zu sagen, machte sie aber nicht zu Freunden.