Sogar Luet nahm Eiadhs Hände in die ihren. »Heute warst du die größte aller Frauen. Dank dir ist es jetzt vorbei.«
Eiadh konnte nur das Gesicht in die Hände drücken und weinen. Denn sie hatte die Worte gehört, die Protschnu zu Elemak gesagt hatte, hatte den Haß in seiner Stimme gehört, und sie wußte, daß Protschnu nicht geschauspielert hatte wie sie, zumindest nicht jetzt. Protschnu würde den Haß seines Vaters in die nächste Generation tragen. Es war alles umsonst gewesen. Sie hatte sich für nichts erniedrigt. »Für nichts«, murmelte sie.
»Nicht für nichts«, sagte Luet. »Für unsere Kinder. Für alle Kinder. Ich sage es noch einmal, Eiadh. Heute warst du die größte aller Frauen.«
Luet kniete neben ihr nieder; Eiadh griff nach ihr und weinte an ihrer Schulter.
Die Tür wurde geöffnet, und das Licht ging an. Nafais Augen gewöhnten sich schnell daran. Elemak, Mebbekew, Obring und Eljas Sohn Protschnu. Er sah den Haß in ihren Augen, in ihrer aller Augen.
Sie sind gekommen, mich zu töten.
Zu Nafais Überraschung war dieser Gedanke keine Erleichterung für ihn. Trotz aller verzweifelter Worte, die er zu der Überseele gesagt hatte, wollte er in Wirklichkeit nicht sterben. Aber er würde sterben; er würde sich dem Tod unterwerfen, wenn dies den Frieden brachte.
Zu seiner Überraschung kniete Elemak zu seinen Füßen nieder und fummelte an den Knoten um seine Knöchel herum. Mebbekew tat es ihm gleich und lockerte die Fesseln um seine Handgelenke.
Seine Haut war an diesen Stellen wund, und ihr grobes Vorgehen scheuerte sie weiter auf. Nachdem er mißhandelt worden war, hatte die Überseele den Mantel veranlaßt, ihn zu heilen; danach aber hatte Nafai die neuerlichen Entzündungen an seinen Fuß- und Handgelenken nicht mehr geheilt. Nun war der Augenblick, da ihm Erleichterung verschafft wurde, beinahe unerträglich schmerzhaft.
»Wir haben einen Eid abgelegt«, sagte Elemak leise. »Den Eid, den Vater von jedem auf diesem Schiff verlangt hat.
»Das ist ein guter Eid«, sagte Nafai sanft. Er fügte nicht hinzu: Wenn ihr ihn nur eher geleistet und danach gelebt hättet, wie ich es von Kindheit an getan habe. Das hätte uns sehr viel Ärger erspart.
»Du kannst jetzt zu ihm gehen und den Eid ebenfalls ablegen«, sagte Meb.
Die Stricke um seinen Hals, die Stricke, die seinen Körper schmerzhaft zurückgebogen hatten, wurden plötzlich gelöst. Schmerz schoß seinen Rücken hinauf und hinab. Er stöhnte auf.
»Hör mit der Schauspielerei auf«, sagte Meb verächtlich. »Wir wissen, daß du dich jederzeit sofort heilen könntest.«
Seine Füße und Hände waren taub; sie fühlten sich wie schwere, träge Keulen an und gehorchten seinen Befehlen nicht. Als er sich auf den Bauch rollte, schmerzte sein Rücken, und er konnte sich kaum auf die Knie erheben. Er stützte sich an der Wand ab und stand schließlich auf unsicheren Beinen. »Wo ist Vater?« fragte er. »Ich muß zu ihm und den Eid ablegen.«
»Ojkib und Chveja haben den Eid auch noch nicht abgelegt«, sagte Obring.
»Dann hole sie«, antwortete Elemak verächtlich. »Wartest du noch immer darauf, daß ich dir einen Befehl erteile? Ich habe hier nichts mehr zu sagen.«
»Und ich auch nicht«, erklärte Nafai.
Aber das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Der Mantel teilte ihm bereits die Informationen mit, die er brauchte. »In den Reservespeichern ist noch genug Sauerstoff, daß wir zwei Stunden lang normal atmen können. Das genügt, um den Sauerstoffgehalt im Blut eines jeden auf das übliche Niveau zu bringen. Anschließend können wir alle uns in den Tiefschlaf begeben. Dann kann das Schiff seine Vorräte auffüllen, bevor es uns wieder weckt.«
Elemak lachte häßlich. »Was denn? Willst du uns nicht versprechen, daß wir schlafen, bis wir die Erde erreichen?«
»Ich werde den Unterricht der Kinder dort fortsetzen, wo wir aufgehört haben«, sagte Nafai. »Falls Vater es mir aufträgt.«
»Ich habe nicht den geringsten Zweifel, daß er alles sagt, was du ihm aufträgst.«
»Dann kennst du ihn oder mich wirklich nicht. Denn Vater wird sagen, was die Überseele ihm aufträgt, und sonst nichts.«
»Ach, wir wollen nicht streiten, Nafai«, sagte Elemak mit übertriebener Fröhlichkeit. »Wir müssen jetzt
Nafai ging schweigend, stützte sich immer wieder an den Wänden ab und war dankbar für die geringe Schwerkraft. »Elemak, willst du das wirklich für Protschnu?« fragte er irgendwann. »Willst du ihn mit diesem ständigen Haß füttern?«
»Haß ist die beste Nahrung«, sagte Elemak. »Sie macht einen stark, sie gibt einem Kraft. Und ich habe eine ganze Festtafel davon, an der meine Kinder sich nähren können.«
»Schaffe Frieden zwischen deinen Kindern und meinen, Elja«, sagte Nafai.