›Weil du noch nie in deinem Leben ohne mich schlafen gegangen bist.‹
Dann wünschte ich, du wärest eine bessere Gesellschaft gewesen.
›Nur zu, sei wütend auf mich. Aber vergiß nicht, daß ich Elemak nicht so geschaffen habe, wie er ist. Hätte er bessere Entscheidungen getroffen, wäre er von Geburt her ein besserer Mensch, wäre er jetzt an deiner Stelle und würde den Mantel des Herrn der Sterne tragen.‹
Ich wünschte, er würde ihn tragen.
›Ja, das meinst du ernst. Du willst wirklich nicht die Verantwortung oder die Macht haben. Und doch hast du beides angenommen, weil jemand sie annehmen mußte und nur du zur Verfügung standest. Nicht gegen deinen Willen, aber gegen deine Wünsche und dein besseres Wissen. Deshalb habe ich dich zu dem Mantel geführt. Denn hättest du verstanden, worum es sich dabei handelt, hättest du niemals danach gegriffen.‹
Ich bin nur die Marionette, die du brauchst, nicht wahr?
›Du bist überhaupt keine Marionette. Marionetten sind nutzlos für mich. Ich brauche freiwillige Freunde und Verbündete.‹
Laß mich in Frieden schlafen, und wenn ich aufwache, werde ich vielleicht wieder ein freiwilliger Verbündeter sein.
›Schlafe gut, mein Freund. Vor uns liegt noch ein langer Weg.‹
Der Himmelsbildschirm in der Bibliothek zeigte sie, die Erdkugel, blau und weiß, mit braunen und grünen Stellen hier und da. Da sie während des Starts geschlafen hatten, hatten sie noch nie eine Welt auf diese Weise gesehen, als Kugel, die im Schwarz der Nacht trieb.
»Wie ein Mond«, sagte Chveja.
Ojkib griff nach ihr und nahm ihre Hand. Sie schaute zu ihm auf und lächelte. Die letzten dreieinhalb Jahre waren sowohl wunderbar als auch entsetzlich gewesen — zu wissen, daß er sie liebte, und auch zu wissen, daß es unmöglich war, sie zu heiraten und während der Reise Kinder zu bekommen. Sie sprachen nicht darüber, was sie empfanden; so war es für beide einfacher. Die anderen hatten genauso diskret Pärchen gebildet. Doch während sie nun Erkundigungen einzogen und die Erde immer und immer wieder umkreisten, die Berichte lasen, welche die Instrumente lieferten, die Karten studierten, nach einer Landestelle suchten, darauf warteten, daß die Überseele eine Entscheidung traf oder der Hüter der Erde ihnen einen Traum schickte, der ihnen verriet, was sie tun sollten, war es für Ojkib unmöglich, nicht an Chveja zu denken und daran, was vor ihnen lag. Eine neue Welt, harte Arbeit, Ackerbau und Forschungen — und wer konnte schon wissen, welche Gefahren ihnen von Krankheiten oder Tieren oder dem Wetter drohte? Aber dagegen stand der Gedanke von Chveja in seinen Armen, von Kindern, von dem Beginn eines neuen Kreislaufs, davon, Teil der lebenden Welt zu sein.
»Wir sind einmal in Schande und Furcht von dieser Welt geflohen«, sagte Chveja. »Wir haben sie einmal verschmutzt und uns gegenseitig abgeschlachtet.«
Sie mußte nicht hinzufügen, daß sie befürchtete, es könne wieder von vorn geschehen. Sie alle wußten, daß die Zeit des echten Friedens vorbei war und daß die Spannungen unter der Höflichkeit deutlich hervortreten würden, selbst wenn der Eid an Volemak Bestand hatte. Und wie lange würde Volemak leben? Dann würde es vielleicht wieder zu einem Krieg kommen. Dann wurde auf der Erde vielleicht erneut menschliches Blut vergossen.
Ojkib hörte, wie Chveja mit der Überseele sprach. Warum hast du uns hierher gebracht, wenn wir nicht besser und klüger sind als diejenigen, die von hier aufgebrochen sind?
»Aber das sind wir doch«, sagte Ojkib. »Besser und klüger, meine ich.«
Sie drehte sich mit weit aufgerissenen Augen zu ihm um. »Was tust du? Damals, während der Krise, hast du so wissend gesprochen. Darüber, was die Überseele wollte. Was Nafai wollte, obwohl du gar nicht mit ihm darüber geredet hattest. Was also tust du?«
»Ich lausche«, sagte er. »So war es schon mein Leben lang. Ich höre alles, was auf den Kanälen der Überseele gesprochen wird. Was sie sagt. Was du sagst.«
Sie schaute entsetzt drein. Ist das wahr? fragte sie die Überseele. Das ist ja schrecklich!
»Jetzt weißt du, warum ich es nie jemandem erzählt habe. Obwohl ich es während der Krise sehr deutlich gezeigt habe. Es überrascht mich, daß niemand darauf gekommen ist.«
»Was ich zu der Überseele sage, ist so … privat.«
»Das weiß ich«, sagte Ojkib. »Ich habe auch nicht darum gebeten, es zu hören. Ich kann es einfach. Ich wuchs auf und wußte viel mehr, als irgendein Kind wissen sollte. Ich weiß, was im Leben anderer Menschen vorgeht, und zwar in einem Ausmaß, das … na ja, sagen wir einfach, ich würde den Leuten viel lieber glauben, was sie sagen, als genau zu wissen, was sie wirklich bekümmert. Oder was die Überseele mit denen anstellen muß, die nie mit ihr sprechen, um zu verhindern, daß sie das Schlimmste tun, was sie gern täten. Ich trage keine besonders angenehme Last.«