Er hatte ihn verstanden, obwohl die Worte, die die Vorstellung zum Ausdruck brachten, in einer Sprache gehalten waren, die er noch nie gehört hatte. Kein richtiger Laut war geäußert worden, und doch wußte er in seinem Gedächtnis, wie die Sprache dieses Geschöpfs klingen würde. Hoch und musikalisch, mit zahlreichen gedehnten Vokalen, aber ohne Zisch- oder Nasal- oder auch nur Reibelaute. Die einzigen Konsonanten waren Verschluß- und Knacklaute, und doch waren sie nicht weniger musikalisch als die Zungenstöße eines Flötisten, der flatternde Unterbrechungen in eine Melodie verwandelte. T und K, G und P, B und D und ein gutturaler Konsonant, von dem Ojkib wußte, daß seine Kehle ihn nicht erzeugen konnte. Manchmal wurden diese Konsonanten mit einem Luftstoß verlängert; manchmal wurden sie hart abgebrochen. Es war eine wunderbare Sprache.
Doch noch wichtiger war die Tatsache, daß die Begierden nicht dunkel und gewalttätig waren und der Hüter sich anscheinend nicht bemühen mußte, dieses Geschöpf zu bändigen. Er lenkte es nicht ab, sondern ermutigte es, verstärkte seine Begierden. Dieser Gegensatz war nach all den Wochen und Tagen der Verwirrung und Dunkelheit für Ojkib eine solche Erleichterung, daß er laut sprach. »Endlich hat der Hüter einen Freund zu uns gebracht«, sagte er.
Er hatte vergessen, wie vorsichtig und aufmerksam das Geschöpf — nein, der Engel — gewesen war. Ihm war nicht klar geworden, daß der Engel ihn in der Dunkelheit nicht gesehen hatte. Doch als Ojkib seine eigene Stimme hörte, wußte er, daß sie zu laut und plötzlich erklungen war. Der Engel sprang fast zwei Meter hoch in die Luft und schlug dann hektisch mit den Schwingen, um noch höher zu steigen, aus dem Gefahrenbereich.
Aber das Entsetzen hielt ihn nicht lange gepackt. Er flog zurück und kreiste, als wolle er sich Ojkib genau ansehen. Nun, betrachte mich nach Herzenslust, sagte Ojkib, der mit gespreizten Armen und geöffneten Händen dastand. Ich werde dir nichts tun, versuchte Ojkib mit seinem Körper zu sagen.
Und dann sagte er zum Hüter: Hilf ihm zu begreifen, daß ich nicht sein Feind bin.
Wie üblich erfolgte keine Antwort. Andere bekamen ihre Träume und ihre leise geflüsterten Worte der Anleitung; Ojkib konnte sie nur belauschen, aber niemals welche empfangen, die direkt an ihn gerichtet waren. Doch als nun die Erinnerungen an die Sprache und Begierden des Engels noch gegenwärtig waren, verspürte Ojkib zum erstenmal kein Bedauern über diesen Mangel. Vielleicht war es die bessere Gabe, die anderen hören zu können.
Als der Engel im Nachthimmel davonflog, im Mondschein die Schlucht entlang, ging Ojkib um das Raumschiff herum und kehrte zu seinem Haus zurück. Er sah das Aufblitzen der Lampe. Wer hatte heute Wache? Meb? Vas? Auf jeden Fall einer der Elemaki.
Obring, der war es. Obring schwang beim Gehen stets die Lampe, so daß er einfach keine seltsamen Bewegungen ausmachen konnte, weil die Lampe selbst sich bewegende Schatten schuf, die jede tatsächliche Bewegung, die vielleicht stattfand, verschleierte. Ojkib hatte beobachtet, wie Elemak es Obring einmal gezeigt hatte. Obring hatte nur gelacht und gesagt: »Da ist nichts zu sehen, Elja. Und außerdem gehorchen wir alle jetzt Volemak und nicht dir, wie du dich vielleicht erinnerst.«
Elemak erinnerte sich daran.
Ojkib hatte nicht den geringsten Zweifel darüber, welchen Eid er meinte — den, den er seinem Vater geleistet hatte. Das Versprechen, ihm zu gehorchen, solange er lebte und über sie herrschte. Besser als alle anderen außer Huschidh und Chveja, die die Loyalitäten in der Kolonie wie auf einer Landkarte sehen konnten, wußte Ojkib, daß der Frieden in der Kolonie nur oberflächlich war. Alle wußten, wer die Elemaki waren und wer die Nafari; alle sahen, daß das Dorf in der Mitte praktisch geteilt war. Die Nafari wohnten im Osten, die Elemaki im Westen. Die Kolonie war nicht geeint und würde es auch niemals sein. Gesundheit für dich, Volemak. Gesundheit und ein langes Leben. Möge es keinen Krieg zwischen uns geben, bevor meine Kinder geboren und in Sicherheit aufgewachsen sind. Lebe ewig, alter Mann. Du bist die einzige Schnur, die diese Ernte zu einer einzigen Garbe zusammenhält.
Also hielt Obring Wache, was aber völlig wertlos war, während Ojkib sich draußen in der Dunkelheit eines dunklen Geraunes und wilder Gebete bewußt wurde und mit niemandem darüber zu sprechen wagte.