Ich ließ sie ruhig gewähren und sagte nichts mehr. Es hatte keinen Zweck, sie abzulenken. Sie musste damit fertig werden und es war besser, es geschah jetzt, wo ich dabei war. Man konnte es mit noch so viel Worten höchstens verschieben, aber einmal kam es dann doch und vielleicht war es dann noch viel schwerer.
Sie stand eine Weile neben dem Tisch, das Gesicht gesenkt und die Hände aufgestützt. Dann hob sie den Kopf und blickte mich an. Ich sagte nichts. Sie ging langsam um den Tisch herum und legte mir die Hände auf die Schultern.
„Alter Bursche”, sagte ich.
Sie lehnte sich an mich. Ich hielt sie fest. „Jetzt werden wir die Sache mal angehen, was?”
Sie nickte. Dann strich sie sich das Haar zurück. „War nur so ein Augenblick, Robby.”
„Natürlich.”
Es klopfte. Das Dienstmädchen kam mit dem Teewagen. „Das ist gut”, sagte Pat.
„Willst du Tee?” fragte ich.
„Nein, Kaffee, guten, starken Kaffee.”
Ich blieb noch eine halbe Stunde. Dann wurde sie müde. Ich sah es an ihren Augen. „Du solltest etwas schlafen”, schlug ich ihr vor.
„Und du?”
„Ich gehe nach Hause und schlafe auch etwas. Dann hole ich dich in zwei Stunden zum Essen ab.”
Sie fragte nichts mehr. Sie war sehr müde und fiel nur so zusammen. Ich brachte sie zu Bett und deckte sie zu. Sie schlief sofort ein. Ich stellte die Rosen neben sie und legte auch die Karte Kösters hinzu, damit sie gleich etwas hatte, um daran zu denken, wenn sie aufwachte. Dann ging ich.
Unterwegs blieb ich vor einem Telefonautomaten stehen. Ich beschloss, Jaffé gleich jetzt anzurufen. Zu Hause war es schwierig. Da musste ich damit rechnen, dass die ganze Pension zuhörte.
Ich nahm den Hörer ab und meldete die Nummer der Klinik an. Nach einer Weile kam Jaffé an den Apparat. „Hier ist Lohkamp”, sagte ich und räusperte mich. „Wir sind heute zurückgekommen. Seit einer Stunde sind wir wieder hier.”
„Sind Sie mit dem Wagen gefahren?” fragte Jaffé.
„Nein, mit der Bahn.”
„So, und wie geht es?”
„Gut”, erwiderte ich.
Er überlegte einen Augenblick. „Ich werde Fräulein Hollmann morgen untersuchen. Morgen vormittag um elf. Wollen Sie ihr das bestellen?”
„Nein”, sagte ich. „Ich möchte nicht, dass sie weiß, dass ich Sie angerufen habe. Sie wird sicher morgen selbst telefonieren. Vielleicht sagen Sie es ihr dann.”
„Gut. Machen wir es so. Ich werde es ihr sagen.”
„Kann ich dann morgen nachmittag bei Ihnen vorbeikommen?” fragte ich.
Jaffé antwortete nicht. „Ich möchte gern wissen, wie es mit ihr steht”, sagte ich.
„Das kann ich Ihnen morgen noch nicht sagen”, erwiderte Jaffé. „Ich muss sie mindestens eine Woche lang beobachten. Aber ich werde Ihnen dann Bescheid geben.”
„Glauben Sie, dass sie – dass sich so ein Anfall wiederholen kann?”
Jaffé zögerte eine Sekunde. „Möglich ist es natürlich”, sagte er dann, „aber es ist nicht wahrscheinlich.
Ich werde Ihnen das erst sagen können, wenn ich sie genau untersucht habe. Ich rufe Sie dann an.”
„Ja, danke.”
Ich hängte den Hörer an. Draußen stand ich noch eine Weile auf der Straße herum. Es war staubig und schwül. Dann ging ich nach Hause.
An der Tür stieß ich auf Frau Zalewski. Sie kam wie eine Kanonenkugel aus dem Zimmer von Frau Bender geschossen. Als sie mich sah, stoppte sie. „Was, schon zurück?”
„Wie Sie sehen. Ist inzwischen was gewesen?’’
„Für Sie nichts. Post auch nicht. Aber Frau Bender ist ausgezogen.”
„So? Warum denn?”
Frau Zalewski stemmte die Arme in die Seiten. „Weil es überall Lumpen gibt. Ins Christliche Hospiz[128]
ist sie gezogen. Mit ihrer Katze und ganzen sechsundzwanzig Mark Vermögen.”Sie erzählte, dass das Kinderheim, in dem Frau Bender Säuglingsschwester gewesen war, inzwischen verkracht sei. Der Leiter, ein Pastor, hatte unglücklich an der Börse spekuliert. Frau Bender war entlassen worden und hatte dabei noch ihr rückständiges Gehalt für zwei Monate eingebüßt.
„Hat sie schon was Neues gefunden?” fragte ich gedankenlos.
Frau Zalewski sah mich nur an.
„Na ja, natürlich nicht”, sagte ich.
„Ich habe ihr gesagt, sie könne ruhig wohnen bleiben. Mit dem Bezahlen eile es nicht. Aber sie wollte nicht.”
„Was soll das Zimmer eigentlich kosten?” fragte ich. Mir war plötzlich eine Idee gekommen.
„Siebzig Mark.”
„Viel zu teuer”, sagte ich, jetzt ganz wach.
„Mit Morgenkaffee, zwei Brötchen und reichlich Butter?”
„Erst recht. Den Morgenkaffee Fridas müssen Sie abziehen. Fünfzig, nicht einen Pfennig mehr.”
„Wollen Sie es etwa mieten?” fragte Frau Zalewski.
„Vielleicht.”
Pat hier, immer hier, bei mir, – ich konnte mir das nicht vorstellen! Ich wäre auch nie auf den Gedanken gekommen, wenn sie gesund gewesen wäre. So aber, – ich öffnete die Tür und maß den Balkon aus. Doch dann schüttelte ich den Kopf und ging in meine Bude zurück.
Sie schlief noch, als ich bei ihr eintrat. Ich setzte mich leise in einen Sessel neben das Bett, aber sie erwachte sofort.
„Schade, ich habe dich aufgeweckt”, sagte ich.
„Bist du die ganze Zeit hier gewesen?’’ fragte sie.
„Nein. Eben erst wieder gekommen.”