Im Hintergrund des Ladens kläffte und winselte es. Gustav ging hinüber. Er brachte im Genick zwei kleine Terrier heran, links einen schwarzweißen, rechts einen rotbraunen. Unmerklich zuckte die Hand mit dem rotbraunen. Ich sah ihn an: ja.
Es war ein wunderschöner, spielerischer Hund. Die Beine gerade, der Körper quadratisch, der Kopf viereckig, klug und frech.
Wir machten ab, dass ich den Hund später holen sollte, wenn ich mit dem Taxifahren fertig war.
Kurz vor sechs Uhr fuhr ich in die Werkstatt zurück. Köster erwartete mich. „Jaffé hat heute nachmittag telefoniert. Du sollst ihn anrufen.”
Ich bekam einen Augenblick keinen Atem. „Hat er was gesagt, Otto?”
„Nein, nichts Besonderes. Nur dass er bis fünf in seiner Sprechstunde ist. Nachher im Dorotheenkrankenhaus. Du wirst also dort anrufen müssen.”
„Gut.”
Ich ging ins Büro. Es war warm und stickig, aber ich fror, und der Telefonhörer zitterte in meiner Hand. „Unsinn”, sagte ich und stützte den Arm fest auf den Tisch.
Es dauerte lange, bis ich Jaffé erreichte. „Haben Sie Zeit?” fragte er. „Ja.”
„Dann kommen Sie doch gleich hier heraus. Ich bin noch eine Stunde da.”
„Gut”, sagte ich, „in zehn Minuten bin ich da.”
Ich legte den Hörer auf und rief sofort zuhause an. Das Dienstmädchen war am Apparat. Ich fragte nach Pat. „Weiß nicht, ob sie da ist”, sagte Frida brummig.
„Will mal nachsehen.” Ich wartete. Mein Kopf war dick und heiß. Es dauerte endlos. Dann hörte ich ein Scharren und Pats Stimme. „Robby?” Ich schloss einen Moment die Augen. „Wie geht es, Pat?”
„Gut. Ich habe bis eben auf dem Balkon gesessen und gelesen. Ein aufregendes Buch.”
„So, ein aufregendes Buch”, sagte ich. „Das ist ja schön. Ich wollte dir nur sagen, dass ich heute ein bisschen später nach Hause komme. Bist du schon fertig mit deinem Buch?”
„Nein, ich bin mitten drin. Ein paar Stunden reicht es noch.”
„Bis dahin bin ich längst da. Und nun lies rasch weiter.” Ich blieb einen Augenblick sitzen. Dann stand ich auf. „Otto”, sagte ich, „kann ich Karl mal haben?”
„Natürlich. Wenn du willst, fahre ich mit. Ich habe hier nichts zu tun.”
„Ist nicht nötig. Es ist weiter nichts. Ich habe schon zuhause angerufen.”
Ich musste ein paar Minuten auf Jaffé warten. Eine Schwester führte mich in ein kleines Zimmer, in dem alte Zeitschriften umherlagen. Ein paar Blumentöpfe mit Rankengewächsen standen auf der Fensterbank.
Jaffé kam herein.
„Ich habe Ihnen versprochen, zu sagen, wie es mit Fräulein Hollmann steht”, sagte Jaffé. „Sie war vor zwei Jahren sechs Monate im Sanatorium. Wissen Sie das?”
„Nein”, sagte ich und sah weiter auf die Tischdecke.
„Es hatte sich danach gebessert. Ich habe sie jetzt genau untersucht. Sie muss diesen Winter unbedingt noch einmal hin. Sie kann nicht hier in der Stadt bleiben.”
„Wann muss sie fort?” fragte ich.
„Im Herbst. Spätestens Ende Oktober.”
„Es war also keine vorübergehende Blutung?”
„Nein.”
Ich hob die Augen. „Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen”, fuhr Jaffé fort, „dass diese Krankheit ganz unberechenbar ist. Vor einem Jahr schien sie zu stehen, die Verkapselung war eingetreten und es war anzunehmen, dass sie geschlossen blieb. Ebenso, wie sie jetzt wieder aufgebrochen ist, kann sie überraschend wieder zum Stillstand kommen. Ich sage das nicht so daher, – es ist wirklich so. Ich selbst habe merkwürdige Heilungen erlebt.”
„Verschlimmerungen auch?”
Er sah mich an. „Das auch, natürlich.”
Er begann mir die Einzelheiten zu erklären. Beide Lungenflügel waren angegriffen, der rechte weniger, der linke stärker. Dann unterbrach er sich und klingelte nach der Schwester.
„Holen Sie einmal meine Mappe.”
Die Schwester brachte sie. Jaffé nahm zwei große Photographien heraus. Er zog die knisternden Umschläge herab und hielt sie gegen das Fenster. „So sehen Sie es besser. Hier haben wir die Röntgenbilder.”
Jaffé zeichnete mit der Pinzette einzelne Linien und Verfärbungen auf der Platte nach und erklärte sie. Schließlich wandte er sich mir zu. „Haben Sie es verstanden?”
„Ja”, sagte ich.
„Was ist denn?” fragte er.
„Nichts”, erwiderte ich. „Ich kann das nur nicht gut sehen.”
„Ach so.” Er rückte an seiner Brille. Dann schob er die Photographien wieder in die Hüllen zurück und musterte mich forschend. „Machen Sie sich keine unnützen Gedanken.”
„Das tue ich nicht. Aber es ist ein gottverdammtes Elend! Millionen Menschen sind gesund! Warum dieser eine nicht?”
Jaffé schwieg eine Weile.
„Darauf kann niemand eine Antwort geben”, sagte er dann.
„Ja”, erwiderte ich, plötzlich furchtbar erbittert und ganz taub vor Wut, „darauf kann niemand eine Antwort geben! Natürlich nicht! Auf das Elend und das Sterben kann niemand eine Antwort geben! Verflucht! Nicht einmal tun kann man etwas dagegen!”
Jaffé sah mich lange an. „Entschuldigen Sie”, sagte ich. „Aber ich kann mir nichts vormachen. Das ist das Verfluchte.”
„Vor neun Jahren starb meine Frau. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt. Nie krank gewesen. Grippe.” Er schwieg einen Augenblick. „Sie verstehen, weshalb ich Ihnen das sage?”
Ich nickte wieder.