„Man kann nichts voraus wissen. Der Todkranke kann den Gesunden überleben. Das Leben ist eine sonderbare Angelegenheit.” Sein Gesicht war jetzt sehr faltig. Eine Schwester kam und flüsterte ihm etwas zu. Er reckte sich auf und nickte zum Operationssaal hinüber.
„Ich muss jetzt da hinein. Zeigen Sie Pat nicht, wenn Sie Sorge haben. Das ist das Wichtigste. Können Sie das?”
„Ja”, sagte ich.
Er gab mir die Hand und ging rasch mit der Schwester durch die Glastür in den kalkweiß erleuchteten Saal.
Ich blieb eine Zeitlang im Wagen sitzen und starrte vor mich hin. Dann nahm ich mich zusammen und fuhr zurück zur Werkstatt. Köster wartete auf mich vor dem Tor. Ich fuhr den Wagen in den Hof und stieg aus. „Wusstest du es schon?” fragte ich.
„Ja”, erwiderte er, „Aber Jaffé wollte es dir selber sagen.”
Ich nickte.
Köster sah mich an.
„Otto”, sagte ich, „ich bin kein Kind und weiß, dass noch nichts verloren ist. Aber es wird mir vielleicht doch schwer werden, mich heute abend nicht zu verraten, wenn ich mit Pat allein bleibe. Morgen geht es. Dann bin ich durch. Wollen wir heute alle zusammen irgendwohin gehen?”
„Selbstverständlich, Robby. Ich habe schon daran gedacht und Gottfried Bescheid gesagt.”
„Dann gib mir Karl noch einmal. Ich fahre nach Hause und hole erst Pat ab und dann, in einer Stunde, euch.”
„Gut.”
Ich fuhr los. In der Nikolaistraße fiel mir ein, dass ich den Hund vergessen hatte. Ich drehte um und fuhr zurück, um ihn zu holen.
Der Laden war nicht beleuchtet, aber die Tür war offen.
Der Terrier sprang mir entgegen, beschnupperte mich und leckte mir die Hand. Seine Augen schimmerten grün im schrägen Schein, der von der Straße hereinfiel.
Ich nahm den Hund, der sich warm an mich drängte, und ging. Geschmeidig, mit langen, weichen Bewegungen, lief er neben mir her zum Wagen.
Ich fuhr nach Hause und ging vorsichtig, den Hund an der Leine, hinauf. Auf dem Korridor blieb ich stehen und schaute in den Spiegel. Mein Gesicht war wie sonst. Ich klopfte an Pats Tür, öffnete sie ein wenig und ließ den Hund hinein.
„Mein Gott!” rief Pat. „Das ist ja ein irischer Terrier!”
„Alle Achtung!” sagte ich. „Vor ein paar Stunden habe ich das noch nicht gewusst.”
Sie beugte sich herunter und der Hund sprang stürmisch an ihr hoch.
„Wie heißt er denn, Robby?”
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich Kognak oder Whisky oder so, nach seinem letzten Besitzer.”
„Gehört er uns?”
„Soweit ein lebendiges Wesen einem anderen gehören kann, ja.”
Sie war ganz atemlos vor Freude. „Wir werden ihn Billy nennen, Robby! Meine Mutter hatte einen als Mädchen. Sie hat mir oft davon erzählt. Er hieß auch Billy!”
„Dann habe ich es ja gut getroffen”, sagte ich.
„Pat”, sagte ich und nahm sie fest in die Arme, „es ist wunderbar, nach Hause zu kommen und dich hier zu finden. Es ist immer wieder eine Überraschung für mich. Wenn ich das letzte Stück der Treppe emporsteige und die Tür aufschließe, habe ich stets Herzklopfen, dass es nicht wahr sein könnte.”
Sie blickte mich lächelnd an. Sie antwortete fast nie, wenn ich ihr so etwas sagte. Sie bekam nur strahlende, glückliche Augen und damit sagte sie mehr als mit noch so vielen Worten.
Ich hielt sie lange fest, ich spürte die Wärme ihrer Haut und den leichten Duft ihres Haares, – ich hielt sie fest und es war nichts mehr da außer ihr, die Dunkelheit wich zurück, sie war da, sie lebte, sie atmete und nichts war verloren.
„Gehen wir wirklich fort, Robby?” fragte sie dicht an meinem Gesicht. „Alle zusammen sogar”, erwiderte ich, „Köster und Lenz auch. Karl steht schon vor der Tür.”
„Und Billy?”
„Billy kommt natürlich mit. Was sollen wir sonst mit dem Rest des Abendessens machen! Oder hast du schon gegessen?”
„Nein, noch nicht. Ich habe auf dich gewartet.”
„Du sollst aber nicht auf mich warten. Nie. Es ist schrecklich, auf etwas zu warten.”
Sie schüttelte den Kopf. „Das verstehst du nicht, Robby. Es ist nur schrecklich, nichts zu haben, auf das man warten kann.”
Sie knipste das Licht vor dem Spiegel an. „Jetzt muss ich aber anfangen, mich anzuziehen, sonst werde ich nicht fertig. Ziehst du dich auch an?”
„Später”, sagte ich. „ich bin ja rasch fertig. Lass mich noch etwas hierbleiben.”
Ich rief den Hund zu mir und setzte mich in den Sessel neben das Fenster. Ich liebte es, so still dazusitzen und Pat zuzusehen, während sie sich anzog.