Erst sehr spät in der Nacht, als wir uns losgemacht hatten und schlafen gingen, konnte ich Teiser fragen, was seiner Schwester fehle und warum sie geweint habe. Sie selber war längst zu Bett gegangen. Mein Freund sah mich prüfend und etwas verwundert an, schüttelte den Kopf und pfiff, bis ich meine Frage wiederholte.
»Du bist doch ein Huhn, ein blindes«, sagte er dann vorwurfsvoll. »Hast du denn nie was gemerkt?«
»Nein«, sagte ich mit aufsteigender Ahnung der Wahrheit.
»Nun, ich darf es schon sagen. Das Mädel hat dich gern gehabt, schon lang. Natürlich, sie hat mir’s nie gesagt, sowenig wie dir, aber gemerkt hab ich’s, und, offen gestanden, gefreut hätte mich’s, wenn’s was geworden wär.«
»O weh!« sagte ich aufrichtig traurig. »Aber was war nur das heute abend?«
»Dass sie geheult hat? Du bist doch ein Kind! Ja meinst, wir hätten nichts gesehen?«
»Was denn?«
»Lieber Gott! Du brauchst mir nichts davon zu sagen, und es ist recht, dass du’s nie getan hast; aber dann hättest auch die Frau Muoth nicht so anschauen sollen. Jetzt wissen wir’s eben.«
Ich bat ihn nicht, mein Geheimnis zu schonen, ich war seiner sicher. Leise legte er mir die Hand auf die Schulter.
»Ich kann mir jetzt auch allerlei denken, Freundl, was du in diesen Jahren geschluckt und uns verschwiegen hast. Es ist mir früher auch einmal ähnlich gegangen. Wir wollen jetzt brav zusammenhalten und schöne Musik machen, gelt? Und schauen, dass das Mädel sich tröstet. Da, gib mir die Hand, schön ist’s gewesen! Und auf Wiedersehen daheim! Ich fahr mit dem Mädel morgen in der Frühe.«
Damit trennten wir uns, doch kam er nach wenigen Augenblicken noch einmal zurückgelaufen und sagte eindringlich: »Du, bei der nächsten Aufführung muss aber die Flöte wieder rein, gelt?«
So endete der Freudentag, und jeder von uns lag noch lange erregt in Gedanken wach. Ich dachte an Brigitte. Die war nun alle diese Zeit in meiner Nähe gewesen und ich hatte nichts als gute Kameradschafft mit ihr gehabt und haben wollen, gerade wie Gertrud mit mir, und als sie meine Liebe zu der anderen erraten hatte, war es für sie dasselbe, wie es damals für mich gewesen war, als ich den Brief bei Muoth entdeckte und den Revolver lud. Und so traurig es mich machte, musste ich doch darüber lächeln.
Die Tage, die ich noch in München blieb, brachte ich zumeist bei Muoths hin. Es war kein Zusammensein mehr wie jene ersten Nachmittage, da wir drei zuerst miteinander gespielt und gesungen hatten; aber es gab doch im Nachglanz der Aufführung ein wortloses, gemeinsames Denken an jene Zeit und ein gelegentliches Aufleuchten auch zwischen ihm und Gertrud. Als ich Abschied genommen hatte, sah ich von draußen noch eine Weile auf das stille Haus in den winterlichen Bäumen, hoffte dort noch manchmal einzukehren und hätte gern mein bisschen Zufriedenheit und Glück hingegeben, um den beiden drinnen von neuem und für immer zueinander zu helfen.
Achtes Kapitel
Nach meiner Heimkehr empfing mich, wie Heinrich mir vorausgesagt hatte, der Ruf des Erfolges mit vielen unangenehmen und zum Teil lächerlichen Folgen. Die Geschäfte waren leicht abzuwälzen, indem ich die Oper einem Agenten überließ. Aber es kamen auch Besucher, Zeitungsleute, Verleger, törichte Briefe, und es dauerte einige Zeit, bis ich mich an die kleinen Lasten eines rasch bekannt gewordenen Namens gewöhnte und mich von der ersten Enttäuschung erholte. Die Menschen machen ihre Rechte an einem bekannt gewordenen Namen auf merkwürdige Art geltend, da ist kein Unterschied zwischen Wunderkind, Komponist, Dichter, Raubmörder. Der eine will sein Bild haben, der andere seine Handschrift, der dritte bettelt um Geld, jeder junge Kollege schickt seine Arbeiten ein, schmeichelt gewaltig und bittet um ein Urteil, und antwortet man nicht oder sagt seine Meinung, so wird derselbe Verehrer plötzlich bitter, grob und rachsüchtig. Die Zeitschriften wollen das Bild des Mannes abdrucken, die Zeitungen erzählen von seinem Leben, seiner Herkunft, seinem Aussehen. Schulkameraden bringen sich in Erinnerung, und entfernte Verwandte wollen schon vor Jahren gesagt haben, dass ihr Vetter noch einmal berühmt werde.
Unter den Briefen dieser Art, die mich in Verlegenheit und Bedrängnis brachten, war auch einer von Fräulein Schniebel, der uns belustigte, und einer von jemand, an den ich lange nimmer gedacht hatte. Es war die hübsche Liddy, die mir schrieb, jedoch ohne unsere Schlittenfahrt zu erwähnen, sondern ganz im Tone einer alten treuen Freundin. Sie hatte einen Musiklehrer in ihrer Heimat geheiratet und gab mir ihre Adresse, damit ich recht bald alle meine Kompositionen mit einer hübschen Widmung an sie schicken könne. Sie legte ihr Bildnis bei, das jedoch die wohlbekannten Züge gealtert und vergröbert zeigte, und ich gab ihr möglichst freundlich Antwort.