Doch gehören diese kleinen Dinge zum Untergesunkenen, das keine Spuren lässt. Auch die guten und herrlichen Früchte meines Erfolges, die Bekanntschafft mit edlen und feinen Menschen, die die Musik im Herzen und nicht nur im Munde haben, gehören nicht zu meinem eigentlichen Leben, das nach wie vor in der Stille blieb und sich seither wenig mehr verändert hat. Es bleibt mir nur übrig zu erzählen, welche Wendung das Schicksal meiner nächsten Freunde genommen hat.
Der alte Herr Imthor sah nicht mehr so viel Gesellschafft wie früher, als Gertrud dagewesen war. Aber es gab in seinem Hause zwischen den vielen Bildern alle drei Wochen einen Abend mit auserwählter Kammermusik, den ich regelmäßig besuchte. Ich brachte zuweilen auch Teiser dahin mit. Doch hielt Imthor darauf, dass ich ihn auch sonst besuche. So kam ich manchmal früh am Abend, das war seine Lieblingsstunde, zu ihm in sein einfaches Schreibzimmer, wo ein Bild von Gertrud hing, und da es allmählich zwischen dem alten Herrn und mir zu einem äußerlich kühlen, doch haltbaren Verständnis und Redebedürfnis gekommen war, kam unser Gespräch nicht selten auf das, was uns beide im Herzen am meisten beschäftigte. Ich musste von München erzählen und verschwieg nicht, welchen Eindruck ich vom Verhältnis der Gatten bekommen hatte. Er nickte dazu.
»Es kann wohl doch alles gut werden«, sagte er seufzend, »aber wir können nichts dazu tun. Ich freue mich auf den Sommer, da habe ich das Kind zwei Monate für mich. In München besuche ich sie selten und nicht gerne, sie hält sich auch so tapfer, dass ich sie nicht stören und weich machen darf.«
Gertruds Briefe brachten nichts Neues. Als sie aber in der Zeit um Ostern zu Besuch beim Alten war und auch uns in unserem Häuschen besuchte, sah sie mager und gespannt aus, und so sehr sie mit uns freundlich war und sich zu verstecken suchte, sahen wir doch oft in ihren ernst gewordenen Augen eine ungewohnte Hoffnungslosigkeit stehen. Ich musste ihr meine neue Musik spielen, aber als ich sie bat, uns etwas zu singen, schüttelte sie den Kopf und sah mich abwesend an.
»Ein andermal wieder«, sagte sie unsicher.
Wir sahen alle, dass es ihr nicht gut ging, und ihr Vater gestand mir nachher, er habe ihr vorgeschlagen, ganz bei ihm zu bleiben, doch habe sie es nicht angenommen.
»Sie liebt ihn«, sagte ich.
Er zuckte die Achseln und sah mich bekümmert an. »Ach, ich weiß nicht. Wer will sich in dem Elend noch auskennen! Aber sie hat gesagt, es sei seinetwegen, dass sie bei ihm bleibe, er sei so zerstört und unglücklich und brauche sie mehr, als er selber wisse. Ihr sage er nichts, aber es stehe ihm im Gesicht geschrieben.«
Dann senkte der Alte die Stimme und sagte ganz leise und beschämt: »Sie meint, er trinke.«
»Ein wenig hat er das immer getan«, sagte ich tröstend, »aber ich habe ihn nie betrunken gesehen. Er hält auf sich. Er ist ein nervöser Mensch, der sich nicht in der Zucht hat, aber an seinem Wesen selber vielleicht mehr leidet, als es andere leiden macht.«
Wie furchtbar die beiden schönen, herrlichen Menschen in der Stille litten, wussten wir alle nicht. Ich glaube nicht, dass sie jemals aufgehört haben, einander zu lieben. Aber im Grunde ihres Wesens gehörten sie nicht zusammen, sie fanden sich nur in Erregung und im Glanz gesteigerter Stunden. Das heiter Hinnehmende des Lebens, das beruhigte Atmen in der Klarheit des eigenen Wesens hatte Muoth nie gekannt, und Gertrud konnte sein Stürmen und Brüten, sein Fallen und Wiederaufstehen, seinen ewigen Durst nach Selbstvergessen und Rausch nur dulden und bemitleiden, nichts ändern und nicht mitleben. So liebten sie einander und kamen doch nie ganz zusammen, und während er seine stille Hoffnung betrogen sah, durch Gertrud zu Frieden und Genügen zu kommen, musste sie sehen und leiden, dass ihr Wille und ihr Opfer vergebens war, und dass auch sie ihn nicht trösten und vor sich selbst retten konnte. So war ihnen beiden der geheime Traum und sehnlichste Wunsch zerstört, sie konnten nur mit Opfern und Schonung beisammen bleiben, und es war tapfer, dass sie es taten.