Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

Ich freute mich über diese unerwartet schönen Stunden, ließ ihn auch dem guten Wein reichlich zusprechen, ohne ihn zu mahnen. Ich wusste, wie selten solche Stimmungen bei ihm waren, wie er sie selber hütete und hegte, wenn sie einmal kamen, und sie kamen freilich nie ohne Wein. Ich wusste auch, dass das nicht lange dauern konnte, dass er morgen wieder verdrossen und unzugänglich sein werde; dennoch kam auch in mir eine herzliche Wärme und beinahe fröhliche Stimmung auf, indessen ich seinen gescheiten, nachdenklichen, wenn auch widerspruchsvollen Betrachtungen zuhörte. Dabei warf er mir zuweilen einen seiner schönen Blicke zu, die er nur in solchen Stunden hatte, und die wie die Blicke eines eben Erwachenden mitten aus einem Traum zu kommen schienen.

Einmal, als er schwieg und sann, begann ich ihm zu erzählen, was mein Theosoph mir über die Krankheit des Einsamen gesagt hatte.

»So?« sagte er gutmütig. »Und du hast es natürlich geglaubt? Du hättest überhaupt Theosoph werden sollen.«

»Warum? Es kann doch was dran sein.«

»Natürlich. Die gescheiten Herren weisen immer von Zeit zu Zeit nach, das alles nur Einbildung sei. Weißt du, ich habe früher oft solche Bücher gelesen, und ich kann dir sagen, es ist nichts damit, absolut nichts. Alles, was diese Philosophen schreiben, ist nur eine Spielerei, vielleicht trösten sie sich selber damit. Der eine erfindet den Individualismus, weil er seine Zeitgenossen nicht leiden mag, und der andere den Sozialismus, weil er es allein nicht aushält. Es kann ja sein, dass unser Einsamkeitsgefühl eine Krankheit ist. Nur wird damit nichts anders. Das Nachtwandeln ist auch eine Krankheit, deswegen steht so ein Kerl doch tatsächlich in der Dachrinne, und wenn man ihn anschreit, dann bricht er das Genick.«

»Nun, das ist doch etwas anderes.«

»Meinetwegen, ich will nicht recht haben. Ich meine nur, mit der Weisheit kommt man zu nichts. Es gibt nur zwei Weisheiten, alles zwischen drin ist Geschwätz.«

»Was für zwei Weisheiten meinst du?«

»Nun, entweder ist die Welt schlecht und lumpig, wie es die Buddhisten und Christen sagen. Dann muss man sich kasteien, auf alles verzichten, und ich glaube, man kann dabei ganz zufrieden werden. Asketen haben kein so schweres Leben, wie man meint. Oder aber ist die Welt und das Leben gut und recht, dann kann man nur eben mitmachen und nachher ruhig sterben, weil es dann fertig ist…«

»Und an was glaubst du selber?«

»Das muss man niemand fragen. Die meisten Leute glauben beides, je nachdem das Wetter ist und sie gesund sind und Geld im Sack haben oder nicht. Und die, die wirklich glauben, leben nicht danach. So ist es bei mir auch. Ich glaube nämlich wie Buddha, dass das Leben nichts wert ist. Aber ich lebe doch, wie es meinen Sinnen wohl tut und wie wenn die die Hauptsache wären. Wenn es nur vergnüglicher wäre!«

Es war noch nicht spät, als wir ein Ende machten. Als wir durchs Nebenzimmer gingen, wo nur eine einsame elektrische Lampe glühte, hielt Muoth mich am Arm zurück, entzündete alle Lichter und nahm den Vorhang von Gertruds Bild, das da lehnte. Wir blickten noch einmal in das liebe, klare Gesicht, dann deckte er das Tuch darüber und löschte das Licht aus. Er begleitete mich in mein Zimmer und legte mir noch ein paar Zeitschriften auf den Tisch, falls ich lesen wolle. Dann gab er mir die Hand und sagte leise: »Gute Nacht, Lieber!«

Ich ging zu Bett und lag noch eine halbe Stunde wach, in Gedanken an ihn. Es hatte mich gerührt und beschämt zu hören, wie treulich er sich aller kleinen Erlebnisse unserer Freundschafft erinnerte. Er, dem es schwerfiel, Freundschafft zu zeigen, hing an denen, die er liebte, inniger, als ich dachte.

Danach schlief ich ein und träumte durcheinander von Muoth, von meiner Oper und vom Herrn Lohe. Als ich erwachte, war es noch Nacht. Ich war an einem Schrecken erwacht, der nichts mit meinen Träumen zu tun hatte, sah mattgrau das bleiche Viereck des Fensters dämmern und fühlte eine quälende Beklemmung, richtete mich im Bett auf und versuchte, vollends wach und klar zu werden.

Da geschahen rasche, kräftige Schläge an meine Tür, ich sprang auf und öffnete, es war kalt, und ich hatte noch kein Licht gemacht. Draußen stand der Diener, nur notdürftig angekleidet, und starrte mich aus erschreckten, dummen Augen ängstlich an.

»Kommen Sie!« flüsterte er keuchend. »Kommen Sie! Es ist ein Unglück geschehen.«

Ich zog nur einen Schlafrock an, der eben da hing, und folgte dem jungen Manne die Treppe hinab. Er öffnete eine Tür, trat zurück und ließ mich eintreten. Da stand auf einem kleinen Rohrtische ein Leuchter, in dem drei dicke Kerzen brannten, und daneben ein zerwühltes Bett, und darin sah ich, auf dem Gesichte liegend, meinen Freund Muoth.

»Wir müssen ihn umdrehen«, sagte ich leise.

Der Diener traute sich nicht recht heran.

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Джеймс Джойс – великий ирландский писатель, классик и одновременно разрушитель классики с ее канонами, человек, которому более, чем кому-либо, обязаны своим рождением новые литературные школы и направления XX века. В историю мировой литературы он вошел как автор романа «Улисс», ставшего одной из величайших книг за всю историю литературы. В настоящем томе представлена вся проза писателя, предшествующая этому великому роману, в лучших на сегодняшний день переводах: сборник рассказов «Дублинцы», роман «Портрет художника в юности», а также так называемая «виртуальная» проза Джойса, ранние пробы пера будущего гения, не опубликованные при жизни произведения, таящие в себе семена грядущих шедевров. Книга станет прекрасным подарком для всех ценителей творчества Джеймса Джойса.

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