Читаем Gertrud / Гертруда. Книга для чтения на немецком языке полностью

»Der Arzt muss gleich kommen«, sagte er stotternd. Aber ich zwang ihn anzufassen, und wir wendeten den Liegenden um, und ich sah meinem Freunde in das Gesicht, das war weiß und verzogen, und sein Hemd war voll Blut, und als wir ihn legten und wieder zudeckten, zuckte sein Mund ganz leicht, und die Augen hatten keinen Blick mehr.

Der Diener fing jetzt eifrig an zu erzählen, aber ich wollte nichts wissen. Als der Arzt kam, war Muoth schon tot. In der Frühe telegraphierte ich an Imthor, denn kehrte ich in das stille Haus zurück, saß am Bett des Toten, hörte den Wind draußen in den Bäumen gehen und wusste erst jetzt genau, wie lieb ich diesen armen Menschen gehabt hatte. Bedauern konnte ich ihn nicht, sein Sterben war leichter gewesen als sein Leben.

Am Abend stand ich am Bahnhof und sah den alten Imthor aus dem Zuge steigen, und hinter ihm eine hohe, schwarz gekleidete Frau, und führte sie hinaus zu dem Toten, der nun angekleidet und aufgebahrt lag, zwischen den Blumen von gestern. Da bückte sich Gertrud und küsste ihn auf den blassen Mund.

Als wir an seinem Grabe standen, sah ich eine hübsche, große Frau mit verweintem Gesicht, die Rosen in den Händen hatte und allein stand, und als ich neugierig hinschaute, was es Lotte. Sie nickte mir zu, und ich lächelte. Gertrud aber hatte nicht geweint, sie schaute aus einem bleichen, schmalen Gesicht überwach und streng vor sich in den leisen Regen, der im Wind versprühte, und hielt sich gerade wie ein junger Baum, als stünde sie auf unerschütterten Wurzeln. Es war aber nur Notwehr, und zwei Tage später, als sie zu Hause Muoths Blumen auspackte, die unterdessen angekommen waren, brach sie zusammen und blieb eine lange Zeit für uns alle unsichtbar.

Neuntes Kapitel

Auch in mir kam die Betrübnis erst spät zu ihrem Recht. Und wie es immer geht, es fielen mir unzählige Gelegenheiten ein, bei denen ich meinem toten Freunde unrecht getan hatte. Nun, das Schlimmste hatte er sich selber angetan, und nicht erst mit seinem Tode. Ich dachte viel über diese Dinge nach und konnte nicht finden, dass in diesem Schicksal etwas unklar und unbegreiflich wäre, doch war alles darin grausam und höhnisch. Es war mit meinem eigenen Leben nicht anders, und mit dem Leben Gertruds und vieler. Das Schicksal war nicht gut, das Leben war launisch und grausam, es gab in der Natur keine Güte und Vernunft. Aber es gibt Güte und Vernunft in uns, in uns Menschen, mit denen der Zufall spielt, und wir können stärker sein als die Natur und als das Schicksal, sei es auch nur für Stunden. Und wir können einander nahe sein, wenn es not tut, und einander in verstehende Augen sehen, und können einander lieben und einander zum Trost leben.

Und manchmal, wenn die finstere Tiefe schweigt, können wir noch mehr. Da können wir für Augenblicke Götter sein, befehlende Hände ausstrecken und Dinge schaffen, die vordem nicht waren und die, wenn sie geschlossen sind, ohne uns weiterleben. Wir können aus Tönen und aus Worten und aus anderen gebrechlichen wertlosen Dingen Spielwerke erbauen, Weisen und Lieder voll Sinn und Trost und Güte, schöner und unvergänglicher als die grellen Spiele des Zufalls und Schicksals. Wir können Gott im Herzen tragen, und zuzeiten, wenn wir seiner innig voll sind, kann er aus unsern Augen und aus unsern Worten schauen und auch zu andern reden, die ihn nicht kennen oder kennen wollen. Wir können unser Herz dem Leben nicht entziehen, aber wir können es so bilden und lehren, dass es dem Zufall überlegen ist und auch dem Schmerzlichen ungebrochen zuschauen kann.

So habe ich in den Jahren, seit Heinrich Muoth begraben ist, ihn mir tausendmal wieder lebendig gemacht und klüger und liebreicher mit ihm reden können als je im Leben. Und ich sah, als die Zeit da war, meine alte Mutter sich legen und sterben, und sah auch die schöne, lustige Brigitte Teiser sterben, die nach Jahren des Wartens und Verheilens einen Musiker geheiratet und das erste Kindbett nicht überlebt hat.

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