Die deutsche Lyrik geht, glaube ich, andere Wege als die französische. Düsteres im Gedächtnis, Fragwürdigstes um sich her, kann sie, bei aller Vergegenwärtigung der Tradition, in der sie steht, nicht mehr die Sprache sprechen, die manches geneigte Ohr immer noch von ihr zu erwarten scheint. Ihre Sprache ist nüchterner, faktischer geworden, sie misstraut dem „Schönen”, sie versucht, wahr zu sein. Es ist also, wenn ich, das Polychrome des scheinbar Aktuellen im Auge behaltend, im Bereich des Visuellen nach einem Wort suchen darf, eine „grauere” Sprache, eine Sprache, die unter anderem auch ihre „Musikalität” an einem Ort angesiedelt wissen will, wo sie nichts mehr mit jenem „Wohlklang” gemein hat, der noch mit und neben dem Furchtbarsten mehr oder minder unbekümmert einhertönte. Dieser Sprache geht es, bei aller unabdingbaren Vielstelligkeit des Ausdrucks, um Präzision. Sie verklärt nicht, „poetisiert” nicht, sie nennt und setzt, sie versucht, den Bereich des Gegebenen und des Möglichen auszumessen.[9]
Von großer Bedeutung ist in diesem Band die innere Strukturierung und Gliederung der Texte, d. h. die Zyklisierung der Gedichte. Die Anordnung, nach der sie hier organisiert sind, folgt nicht mehr dem chronologischen Prinzip, sondern entspricht den thematischen Kriterien. Die wichtigsten thematischen Komplexe gruppieren sich um einige Leitmotive, die in den Gedichten mehrfach auftauchen, sich überschneiden und variiert werden. Die Architektonik des Gedichtbandes wird von einer außerordentlichen Strenge charakterisiert — es gibt in der Geschichte der Weltliteratur nur wenige Beispiele einer so gut strukturierten, so tief durchdachten, bis in die kleinsten Details ausgearbeiteten Komposition eines Gedichtbandes. Im Unterschied zu den beiden bisherigen poetischen Büchern, die noch mit Zwischentiteln ausgestattet waren, sind die Zyklen von
Mit dem Titel des Bandes verband Celan vor allem die Sprach-problematik, die Modalitäten des Sprechens eines deutschjüdischen Dichters nach dem Trauma des Holocaust. Wie die Vor-bzw. Zwischenstufen des Bandes zeigen, hat der Dichter zuerst erwogen, jedem Zyklus einen eigenen Titel zu geben. In einem Brief vom 4. August 1958 an den damaligen Leiter des S. Fischer Verlags Rudolf Hirsch, der einige Bedenken gegenüber dem von Celan angebotenen Titel hatte, schreibt er: