Das musikalische Prinzip verursacht im Sprachgitter auch die Technik der Leitmotive, die den Gedichtband durchdringen. Im ersten Zyklus dominiert das Motiv der Stimme als einer empirischen Form und Verkörperung des Sprechaktes und der Sprache schlechthin. Die Sprechbegabung ist von allen Lebewesen nur dem Menschen eigen, es ist also seine immanente Charakteristik. Die Unfähigkeit zu sprechen oder der Verlust der Sprache sind dem geistigen Tode des Menschen gleich. Daher ist das helle Erklingen der menschlichen Stimme eine Vorbedingung des bewussten Daseins. Im Stimmen-Zyklus kommen verschiedene Sprecharten vor — Stimmen, denen die Sprache weggenommen ist, oder jene, die in ihrem Sprechen nur flüstern dürfen, alttestamentarische Stimmen der Erzväter, die durch Jahrhunderte ihre fernen Nachkommen beschwören — bis zu völligem Erlöschen der Stimme („keine Stimme”), anstatt deren nur ein „Spätgeräusch” noch zu hören ist. Stimme ist hier auch mit dem poetischen Sprechen identisch, es ist für Celan ein durchaus selbstreflexives Thema, das mit der Existenz der Dichtung „nach Auschwitz” und mit seinen biographischen Umständen zu tun hat.
In dem zweiten Zyklus, der in den Vorstufen noch den Titel Stimmlos hatte, wechselt das Stimmhafte ins Visuelle, wobei sich das Gesehene dann in seelischen Prozessen verinnerlicht. Das Motiv des Auges (Zuversicht, Unten), der Seh- und Wahrnehmungsfähigkeit sowie der Hindernisse, die auf diesem Wege stehen („Schliere im Aug”), der Trauer um das Verlorene bestimmen die Thematik dieses Zyklus. Das lyrische Ich entgleitet hier „ins Stumme” (Heimkehr), die Stimme „sickert” nur noch (Heute und morgen).
Der dritte Zyklus beginnt mit dem Gedicht Tenebrae und leitet nicht nur das Motiv der Dunkelheit, sondern auch die Auseinandersetzung mit dem jüdischen Gottesglauben sowie das Leitmotiv des Holocaust ein. Weitere Motive des Auges (Sprachgitter, Schneebett), der Hand (Matiere der Bretagne), des Wortes (Blumen), des Steins (Nacht, Schuttkahn) und seiner verschiedenen Erscheinungsformen („Kies und Geröll”, „Schutt”) weisen auf sprachrefle-xive Problematik und auf die Suche nach der „graueren Sprache” hin. Hände und Augen sind hier Zeichen einer Bemühung um den ausbleibenden Dialog. Poetische Landschaften zeigen Bilder der anorganischen Natur — Öde, Wüste, Schneebett, „eiternde Hänge”, die als verfremdete Sprachlandschaften verstanden sind. Der allgemeine Ton ist düster, „herzgrau”, von Trauer erfüllt. Das programmatische Gedicht Sprachgitter artikuliert Unmöglichkeit oder Schwierigkeiten der Kommunikation.
Erst in beiden nächsten Zyklen werden die Stimmen wieder vernehmbar (in der Vorstufe des Bandes als Stimmhaft betitelt). Am Anfang des vierten Zyklus steht das Gedicht Köln, Am Hof, das auf die Wiederaufnahme der Liebesbeziehung zu Ingeborg Bachmann zurückgeht, und mit ihm kommt auch das erotische Motiv in diese Gedichte wieder mit hinein: „Herzzeit” (In Mundhöhe, Eine Hand, Aber, Allerseelen). Die wiedereroberte Fähigkeit zu sprechen wird vom Motiv des Atems begleitet, das zugleich das freie poetische Sprechen symbolisiert. Bildliche Begriffe von Mund, Lippe, Licht (Leuchter), Brunnen, Stunde, Stern beflügeln mehrere Gedichte aus diesen Zyklen, obwohl auch die Leitmotive des Auges und des Steins wieder auftauchen und elliptische Bilder der Meereslandschaften (Niedrigwasser) und Ödplätze (Entwurf einer Landschaft, Bahndämme, Wegränder, Ödplätze, Schutt) als imaginäre Sprachlandschaften zutage treten. Genauso wird die Zeit- („ihr (Jhren tief in uns”) und Schmerzproblematik („den Widerhaken gefühlt”) thematisiert, was manche Gedichte wieder an die Grenze des Schweigens rückt.