„Macht keinen Unsinn”, sagte ich, um es noch einmal zu versuchen. „Wollen lieber einen Schnaps in die Kehle zischen lassen.”
„Zwei – ” knurrte Gustav —
Ich sah, dass er mich regulär hinschlachten wollte. „Und eins ist – ” Er schob seine Mütze zurück.
„Halts Maul, Idiot!” schnauzte ich plötzlich scharf. Gustav klappte vor Überraschung den Mund auf und trat einen Schritt näher. Genau dahin, wohin ich ihn haben wollte. Ich schlug sofort zu. Gustav sackte weg. „Schadet ihm nichts”, sagte der junge Chauffeur. „Alter Radaubruder.”
Ich war etwas beunruhigt. In der Eile hatte ich den Daumen falsch gehalten beim Schlagen und ihn mir verstaucht. Wenn Gustav wieder aufwachte, konnte er mit mir machen, was er wollte. Ich sagte es dem jungen Chauffeur und fragte, ob ich nicht lieber abhauen sollte. „Unsinn”, sagte er, „die Sache ist erledigt. Komm jetzt in die Kneipe und schmeiß deinen Einstand. Du bist kein gelernter Chauffeur, was?”
„Nein – ”
„Ich auch nicht. Ich bin Schauspieler.”
„Und?”
„Man lebt – ” erwiderte er lachend. „Theater ist auch so genug.”
Wir waren zu fünf, zwei ältere und drei junge. Nach einer Weile erschien auch Gustav im Lokal. Er glotzte stier zu unserm Tisch herüber und kam ran. Ich fasste mit der linken Hand mein Schlüsselbund in der Tasche und nahm mir vor, mich auf jeden Fall zu wehren, bis ich mich nicht mehr rühren konnte.
Doch es kam nicht dazu.
„Prost”, sagte er zu mir, aber mit einem Gesicht wie Dreck.
„Prost”, erwiderte ich und kippte.
Gustav zog eine Schachtel Zigaretten heraus. Er hielt sie mir hin, ohne mich anzusehen. Ich nahm eine und gab ihm dafür Feuer. Dann bestellte ich eine Lage doppelten Kümmel. Wir tranken sie. Gustav sah mich wieder von der Seite an.
„Ich heiße übrigens Gustav.”
„Ich Robert.”
„Schön. Also in Ordnung, Robert, was? Dachte, du wärst so’n Bubi von Mamas Schürze.”
„In Ordnung, Gustav.”
Von dieser Zeit an waren wir Freunde.
Die Wagen rückten langsam vor. Der Schauspieler, der Tommy genannt wurde, bekam eine glänzende Fuhre zum Bahnhof. Gustav eine zum nächsten Restaurant für dreißig Pfennige. Er platzte fast vor Wut darüber, denn er musste sich für zehn Pfennige Verdienst nun wieder hinten anstellen. Ich erwischte etwas ganz Seltenes, – eine alte Engländerin, die sich die Stadt ansehen wollte. Ich war fast eine Stunde mit ihr unterwegs. Auf der Rückkehr schnappte ich noch ein paar kleinere Sachen.
Ziemlich aufgekratzt fuhr ich nachmittags in den Hof unserer Werkstatt ein. Lenz und Köster erwarteten mich schon.
„Brüder, was habt ihr verdient?” fragte ich.
„Siebzig Liter Benzin”, meldete Jupp.
„Sonst nichts?”
Lenz schaute mit wildem Gesicht zum Himmel auf. „Regnen müsste es! Und dann ein kleiner Zusammenstoß auf dem Rutschasphalt direkt vor der Tür! Keine Verletzten! Nur eine nette, runde Reparatur.”
„Schaut her!” Ich zeigte fünfunddreißig Mark auf der flachen Hand.
„Großartig”, sagte Köster. „Davon sind zwanzig Mark verdient. Die werden wir heute auf den Kopf hauen. Müssen die Jungfernfahrt[101]
doch feiern!”„Wir wollen eine Waldmeisterbowle[102]
trinken”, erklärte Lenz.„Bowle?” fragte ich. „Wozu denn Bowle?”
„Weil Pat mitkommt.”
„Pat?”
„Sperr den Schnabel nicht so weit auf”, sagte der letzte Romantiker, „wir haben alles längst abgemacht. Um sieben holen wir sie ab. Sie weiß Bescheid. Wenn du nicht daran denkst, müssen wir uns eben selbst helfen. Schließlich hast du sie doch durch uns kennen gelernt.”
„Otto”, sagte ich, „hast du je etwas Unverfroreneres gesehen als diesen Rekruten?”
Köster lachte.
Wir saßen im Garten eines kleinen Wirtshauses vor der Stadt. Der feuchte Mond hing wie eine rote Fackel tief über den Wäldern. Die bleichen Blütenkandelaber der Kastanien schimmerten, der Flieder roch betäubend und vor uns auf dem Tisch das große Glasgefäß, mit dem nach Waldmeister duftenden Wein sah im ungewissen Licht der frühen Nacht aus wie ein heller Opal, in dem sich bläulich und perlmuttern der letzte Schein des Abends sammelte. Wir hatten es schon zum vierten Mal füllen lassen.
Später ging ich mit Pat allein durch den Garten. Der Mond war höher gestiegen und die Wiesen schwammen in grauem Silber. Die Schatten der Bäume lagen lang und schwarz darüber wie dunkle Wegweiser ins Ungewisse. Wir gingen bis zum See hinunter und kehrten dann um. Unterwegs trafen wir Gottfried Lenz, der sich einen Gartenstuhl mitgenommen und ihn tief in ein Gebüsch von Fliedersträuchern geschoben hatte. Da saß er nun und nur sein blonder Schopf und seine Zigarette leuchteten heraus. Neben sich auf der Erde hatte er ein Glas und den Rest der Maibowle stehen.
„Das ist ein Platz!” sagte Pat. „Mitten im Flieder.”
„Es lässt sich aushalten.[103]
” Gottfried stand auf.