Es war ein Kleid aus silbernem Brokat, das von den geraden Schultern schlank und weich herunterfiel. Es schien eng zu sein und war doch so weit, dass es die schönen, langen Schritte Pats nicht hinderte. Vorne war es hochgeschlossen, aber der Rücken war tief in einem spitzen Winkel ausgeschnitten. In der matten, blauen Dämmerung wirkte Pat darin wie eine silberne Fackel, jäh und überraschend verändert, festlich und sehr entfernt.
„Gut, dass ich dich in dem Kleide nicht kennen gelernt habe”, sagte ich. „Nie hätte ich mich an dich herangetraut.”
„Das glaube ich nicht so ohne weiteres, Robby.” Sie lächelte. „Gefällt es dir?”
„Es ist geradezu unheimlich! Du bist eine ganz neue Frau darin.”
„Das ist doch nicht unheimlich. Dazu sind Kleider doch da.”
„Mag sein. Mich schmettert es etwas nieder. Du müsstest dazu einen andern Mann haben. Einen Mann mit viel Geld.”
Sie lachte. „Männer mit viel Geld sind meistens scheußlich, Robby.”
„Aber Geld nicht, was?”
„Nein”, sagte sie, „Geld nicht.”
„Das dachte ich mir.”
„Findest du das denn nicht?”
„Doch”, sagte ich. „Geld macht zwar nicht glücklich, – aber es beruhigt außerordentlich.”
„Es macht unabhängig, Liebling, das ist noch mehr. Aber wenn du willst, kann ich auch ein anderes Kleid anziehen.”
„Ausgeschlossen. Es ist prachtvoll. Von heute ab setze ich die Schneider über die Philosophen! Die Leute bringen Schönheit ins Leben. Das ist hundertmal mehr wert als klaftertiefe Gedanken! Pass auf, ich werde mich noch in dich verlieben!”
Sie lachte.
Wir fuhren in einem Taxi zum Theater. Ich war unterwegs ziemlich schweigsam, ohne recht zu wissen, warum.
Vor dem Eingang stauten sich die Leute. Es war eine große Premiere, das Theater war mit Scheinwerfern bestrahlt, Auto auf Auto glitt heran, Frauen in Abendkleidern stiegen aus, glitzernd von Schmuck, Männer in Fräcken, mit rosig ausgepolsterten Gesichtern, lachend, fröhlich, überlegen, unbedenklich; – und knarrend und ächzend rumpelte dazwischen die Droschke mit dem müden Chauffeur davon.
„So komm doch, Robby!” rief Pat und sah mich strahlend und aufgeregt an. „Hast du etwas vergessen?”
„Nein – ” sagte ich, „ich habe nichts vergessen.”
Dann ging ich zur Kasse und tauschte die Billetts um. Ich nahm zwei Logenplätze, obschon sie ein Vermögen kosteten. Ich wollte nicht, dass Pat mitten unter diesen sicheren Leuten saß, denen alles selbstverständlich war. Ich wollte nicht, dass sie zu ihnen gehörte. Ich wollte mit ihr allein sein.
Es war lange her, dass ich in einem Theater gewesen war. Ich wäre auch nicht hingegangen, wenn Pat es nicht gewollt hätte. Theater, Konzerte, Bücher, – alle diese bürgerlichen Gewohnheiten hatte ich fast verloren. Es war nicht die Zeit danach.
Die Ränge[104]
und das Parkett[105] waren ganz besetzt. Es wurde sofort dunkel, als wir unsere Plätze gefunden hatten.Ich schob meinen Stuhl in die Ecke der Loge zurück. So brauchte ich weder die Bühne noch die bleichen Köpfe der Zuschauer zu sehen. Ich hörte nur die Musik und sah Pats Gesicht.
Die Musik verzauberte den Raum. Sie war wie Südwind, wie eine warme Nacht, wie ein gebauschtes Segel unter Sternen, ganz und gar unwirklich, diese Musik zu „Hoffmanns Erzählungen”[106]
. Sie machte alles weit und farbig, der dunkle Strom des Lebens schien in ihr zu rauschen, es gab keine Schwere mehr, keine Grenzen, es gab nur noch Glanz und Melodie und Liebe und man konnte einfach nicht begreifen, dass draußen Not und Qual und Verzweiflung herrschten, zur gleichen Zeit, wo es diese Musik gab.Pats Gesicht war geheimnisvoll vom Licht der Bühne beschienen. Sie war ganz hingegeben und ich liebte sie, weil sie sich nicht an mich lehnte und nicht nach meiner Hand griff, ja, mich nicht einmal ansah, sondern gar nicht an mich zu denken und mich ganz vergessen zu haben schien. Nur wer immer wieder allein war, kannte das Glück des Beieinanderseins. Alles andere zerstörte das Geheimnis der Spannung. Und was riss stärker in die magischen Bezirke der Einsamkeit, als der Aufruhr des Gefühls, die Hingabe an eine Erschütterung, die Gewalt der Elemente, der Sturm, die Nacht, die Musik. Und die Liebe —
Das Licht flammte auf. Ich schloss einen Augenblick die Augen. Woran hatte ich da nur gedacht? Pat wandte sich um. Ich sah, dass die Leute zu den Türen drängten. Es war große Pause.
„Willst du nicht hinausgehen?” fragte ich.
Pat schüttelte den Kopf.
„Gott sei Dank! Ich hasse es, sich da draußen gegenseitig zu beglotzen.”
Ich machte mich auf, um ihr ein Glas Orangensaft zu holen.
Als ich mit meinem Glas in der Loge ankam, stand jemand hinter Pats Stuhl. Sie hatte den Kopf zurückgewendet und sprach lebhaft mit ihm. „Das ist Herr Breuer, Robert”, sagte sie. Robert hatte sie gesagt, nicht Robby. Ich stellte das Glas auf die Brüstung und wartete darauf, dass der Mann ging. Er hatte einen fabelhaft geschnittenen Smoking an. Aber er schwätzte von der Regie und der Besetzung[107]
und blieb. Pat wandte sich mir zu. „Herr Breuer hat gefragt, ob wir nachher nicht in die Kaskade gehen wollen.”