Seine Wohnung lag an einer
Privatstraße im dritten Stock. Kurz vor der Zufahrt trat er hart auf die
Bremse, stellte den Motor ab und kam schlitternd am Straßenrand zum Stehen,
dann sauste er bis zur Haustür, so leise, wie sein Tempo es zuließ. Er hatte erwartet,
irgendwo in der Nähe ein parkendes Fluchtauto zu sehen, wahrscheinlich mit
einem Fahrer startbereit am Steuer, doch zu seiner vorübergehenden
Erleichterung war keines in Sicht. Aber im Schlafzimmer brannte Licht, und
jetzt stellte er sich Marie-Ciaire geknebelt und ans Bett gefesselt vor und
daneben die Banditen, die auf sein Eintreffen warteten. Sollten sie es auf
Guillam abgesehen haben, so war er gesonnen, sie nicht zu enttäuschen. Er war
unbewaffnet gekommen, notgedrungen. Die Housekeepers des Circus hegten einen
heiligen Abscheu vor Schußwaffen, und sein verbotswidriger Revolver lag in der
Nachttischlade, wo die Banditen ihn inzwischen zweifellos gefunden hatten. Er
flitzte lautlos die drei Treppen hinauf, und vor der Wohnungstür warf er sein
Jackett ab und ließ es neben sich auf den Boden fallen. Er hatte den Schlüssel
bereits in der Hand, und jetzt schob er ihn so behutsam wie möglich ins Schloß,
dann drückte er auf den Klingelknopf und rief durch den Briefschlitz »Facteur«
- Postbote - und dann
Was auf diesen Zusammenprall folgte, wird von Guillam ein wenig nebulos geschildert; er hatte natürlich keine Ahnung von Smileys Kommen gehabt, und solange sie in der Wohnung waren, sagte Smiley - vielleicht aus Furcht vor Mikrophonen — wenig Erhellendes. Marie-Ciaire war im Schlafzimmer, aber weder gefesselt noch geknebelt, und auf dem Bett lag, von Marie-Ciaire dorthin beordert, die Ostrakowa, noch immer in ihrem alten schwarzen Kleid, und Marie-Ciaire verwöhnte sie mit allem, was das Haus zu bieten hatte - Hühnerbrüstchen in Aspik, Pfefferminztee, sämtlichen Schongerichten, die sie emsig für den wundervollen, doch leider nicht absehbaren Tag gehortet hatte, an dem Guillam krankheitshalber ihrer Betreuung bedürfte. Wie Guillam feststellte, mußte die Ostrakowa (deren Namen er allerdings noch nicht kannte) gewaltige Prügel bezogen haben.
Graue Druckstellen breiteten sich um Augen und Mund aus, und ihre Finger waren schwer lädiert, offenbar hatte sie versucht, sich zu wehren. Nachdem Smiley den Hausherrn einen kurzen Blick auf die Szene hatte werfen lassen - die Dame in der Obhut der besorgten Kind-Frau -, führte er Guillam in dessen eigenen Salon und erteilte ihm mit der Autorität des ehemaligen Chefs, der er ja war, in aller Eile seine Anweisungen. Erst jetzt erhielt Guillams hastige Heimfahrt doch noch ihre nachträgliche Rechtfertigung. Die Ostrakowa - Smiley sagte nur »unser Gast« -müsse noch heute Abend Paris verlassen, sagte er. Das sichere Haus der Residentur in der Nähe von Orleans - er sagte »unser Landsitz« - sei nicht sicher genug, sie müsse an einen Ort gebracht werden, wo sie Pflege und Schutz fände. Guillam entsann sich eines französischen Ehepaars in Arras. Eines pensionierten Agenten und dessen Frau, die schon früher den einen oder anderen Zugvogel des Circus beherbergt hatten. Man kam überein, daß er in Arras anrufe, aber nicht von der Wohnung aus: Smiley schickte ihn zu einer öffentlichen Telefonzelle. Als er die notwendigen Verabredungen getroffen hatte und wieder heimkam, hatte Smiley bereits ein kurzes Fernschreiben auf einem Bogen von Marie-Claires abscheulichem Briefpapier mit den grasenden Häschen entworfen, das Guillam unverzüglich an den Circus absenden sollte. »Persönlich an Saul Enderby, nur vom Empfänger zu entschlüsseln.« Der Text, den Guillam auf Smileys Geheiß lesen mußte (aber nicht laut), bat Enderby »betreffs eines zweiten, Ihnen inzwischen sicherlich zur Kenntnis gelangten Todesfalls« höflich um eine Zusammenkunft bei Ben in achtundvierzig Stunden. Guillam hatte keine Ahnung, wer Ben war.
»Und, Peter.«
»Ja, George«, sagte Guillam, noch immer ganz benommen.